Update, April 2012: Leider veralten Social-Media-Tipps schnell – einige der Tipps und Tools in diesem Artikel sind nicht mehr funktionsfähig. Siehe das hier, aber auch mein überarbeitetes Rezept für ein Brand Monitoring im Eigenbau.
Sind wir ehrlich: all die netten „10-Beste“–Listen von Mashable sind nichts anderes als eine faule Ausrede dafür, selbst gerade nichts zu arbeiten – ihr praktischer Nutzen entspricht dem Nährwert von gesalzenen Pappkartons. Schlimmer: Mashable veröffentlicht davon gefühlt fünf Stück am Tag. Noch schlimmer: Der Trend macht Schule – und als beratungsbedürftiger Nutzer wird man von einer Flut von Marktübersichten weggespült, die die Tipps schneller vorbeitreibt, als man die empfohlenen Werkzeuge bookmarken kann. Jetzt weiß man, was es alles gibt – dabei wollte man doch bloß wissen, womit man gut arbeiten kann.
In Rückbesinnung auf die alte journalistische Tugend des Auswählens und Gewichtens erlaube ich mir, meinen persönlichen Werkzeugkasten für die Social-Media-Alltagsarbeit vorzustellen. Diese Werkzeuge sind für mich unentbehrlich, wenn es um das Soziale Internet geht – auch wenn sie im einen oder anderen Spezialfall versagen oder nicht optimal sind, kommt man meiner Erfahrung nach sehr weit mit ihnen: mit einem Sechskant-Schlüssel kann man notfalls auch eine Torx-Schraube drehen.
Eine weitere Gemeinsamkeit mit dem Sechskant-Schlüssel: Diese Werkzeuge bekommt man allesamt (fast) umsonst. Sie bieten sich deshalb an, wenn eine Redaktion in das Thema Social Media einsteigt – wenn sie sich professionalisiert und auch Erfolg hat, sind beispielsweise im Bereich „Monitoring“ ganz andere Aufwände nötig.
Aber: für jede/n, die/der sich journalistisch auf dem Felde Social Media tummeln will – also für jeden, der nicht im 20. Jahrhundert zurückbleiben will – lohnt sich die Beschäftigung mit wenigstens diesen Werkzeugen. Anders herum formuliert: wer für seine Redaktion Social Media betreuen und nutzen will, sollte diese Werkzeuge allesamt kennen und können.
Die Toolbox – nach dem Klick.
Plattformen:
Auf welchen Plattformen sollte man sich tummeln? Banale Antwort: Dort, wo die eigenen Nutzer sind. Für die durchschnittliche Redaktion heißt das:
- Facebook – am „Blauen Riesen“ kommt keiner mehr vorbei. Soweit klar, soweit banal.
- Twitter – nicht der Reichweite wegen, die ist vergleichsweise bescheiden und bleibt es vermutlich auch; Twitter ist und bleibt ein Werkzeug für Informationsjunkies. Als solches sollte man es begreifen und nutzen – es gibt keine bessere (und unverbindlichere) Plattform, um zu lernen, wie man sich in Sozialen Netzen effizient und zeitsparend informiert.
- Wer-kennt-wen – der Elefant im Zimmer, der gerne übersehen wird. Weil WKW eine stark auf Individuen ausgerichtete Plattform ist, bietet sie Medienhäusern nicht den Komfort, den sie von Facebook kennen – rein contentorientierte Angebote funktionieren hier nicht, und das ist für die meisten Redaktionen ein KO-Kriterium. Aber wieso eigentlich? Hier sind die meisten unserer Nutzer.
- VZ-Netze – auch wenn es spätestens 2010 auf einmal sehr einsam wurde bei den VZ-Netzen, sollte man sie nicht aus den Augen verlieren. Bei Schülern haben sie immer noch eine starke Basis, und: als deutsches Unternehmen sind sie nicht nur wesentlich besser zu erreichen als die US-Riesen, man kann auch zielgerichteter mit ihnen über Kooperationen und gemeinsame Interessen sprechen.
- Youtube. Auch ein soziales Netzwerk, nicht nur eine Content-Plattform, was gerne vergessen wird.
Im Auge behalten: Flickr, Qype, Foursquare. Und natürlich Quora. ;)
Posten
Wie den Dialog über mehrere Plattformen hinweg managen – und trotzdem nicht alles einzeln anfassen müssen? Ein sehr fähiger Kollege von mir betreut das Twitter- und Facebook-Konto seiner Redaktion nur von Hand – und schwört darauf.
Das ist aller Ehren wert, aber mir zu mühsam. Diese Alternativen sparen Zeit, um den Preis einer nicht immer hundertprozentig plattformgerechten Form.
- Hootsuite – ein Webdienst, um Content einzustellen und den Dialog über mehrere Accounts pflegen zu können; ursprünglich für Twitter entwickelt; kann inzwischen auch Facebook, und das ziemlich gut. Die Funktion, mit mehreren in einem Team zusammenarbeiten zu können, ist ziemlich clever und ziemlich nützlich – leider ist sie inzwischen den vergleichsweise teuren Bezahl-Accounts vorbehalten. In der kostenlosen Variante ist das Werkzeug zu stark eingeschränkt, um es noch produktiv einsetzen zu können – es sei denn, alle Nutzer in der Redaktion melden sich über dasselbe Account bei Hootsuite an.
- Seesmic Desktop bietet einen mit Hootsuite vergleichbaren Funktionsumfang, allerdings als Programm auf dem Desktop. Es setzt auf Adobe Air auf, das es für alle gängigen Betriebssysteme gibt; um Air zu installieren, benötigt man allerdings Administrator-Rechte, was den Einsatz in Firmennetzen praktisch ausschließt. Der Webdienst von Seesmic holt auf, könnte aber noch ein wenig Pflege vertragen.
- Echofon (für Firefox) – ein Plugin, eine Browser-Erweiterung also, mit der man ohne viel Komfort twittern kann – für die Pflege des persönlichen Twitterkontos oder einen schnellen Blick auf Reaktionen über mehrere Konten hinweg.
- Twitterfeed – eine der Möglichkeiten, einen „Besser-als-gar-nichts“-Twitter-Kanal einzurichten – indem man ihn aus einem RSS-Feed speist. Zugegeben: ein automatisiertes Twittern bietet keinen Dialog, keinen USP und wenig Reiz. Aber ich denke, als zeitgemäße Ergänzung zum RSS-Feed haben auch automatisierte Konten durchaus ihre Berechtigung. Die Facebook-Seite, die einen Twitter-Kanal bekommen soll, kann man über diesen Link entsprechend einrichten.
- Die Entsprechung zu Twitterfeed für Facebook ist die App RSS Graffiti. Mit ihr kann man einen RSS-Feed auf einer Seite ausgeben und so (Blog-)Seiten in Facebook doppeln – allerdings transportiert das App keine Kommentare rein oder raus. Wie auch? Facebook n’aime ca.
- Eine Lösung für viele Probleme ist Posterous – siehe unten bei „Virtuelle Basecamps“.
Im Auge behalten: bit.ly, Tweetdeck
Ein Werkzeug, das auch Edelprofile bei den VZ-Netzen oder gar den Dialog auf WKW verarbeiten kann, gibt es meines Wissens nicht. Leider.
Kommentarmoderation, Dialogmonitoring
Ärgerlich und unverständlich: ausgerechnet der größte Player – Facebook – schickt keine Benachrichtigungsmail, wenn es einen Kommentar auf einer von mir verwalteten Seite gibt – anders als bei persönlichen Profilen geht die Plattform offenbar davon aus, dass man die Seite immer wieder besucht. [Update, März 2011: Seit Facebook die Seiten (wieder einmal) überarbeitet hat, bekommen Seiten-Admins netterweise eine Mail, wenn ein Kommentar oder ein neuer Wall-Eintrag auf die Seite kommt. Man kann das übrigens auch abstellen: Bei einer Seite, die man administriert, oben rechts auf „Seite bearbeiten“ klicken und dann links oben „Deine Einstellungen“ auswählen. Dort findet sich noch eine immens nützliche Einstellung: Auch ein Seiten-Admin kann jetzt unter seinem eigenen Namen auf die Seite posten – man muss nur die entsprechende Option abwählen (!). Update Ende.]
Dabei ist das die größte Herausforderung für Redaktionen im Social Web – überhaupt mitbekommen, dass man mit ihnen reden möchte!
- NutshellMail ist ein Schritt in die richtige Richtung. Ein Dienst, der mehrmals täglich zu verabredeten Zeiten eine Überblicks-Mail für die Twitter- und Facebook-Konten schickt. Nachteil: viele Mails mit Nullinformation.
- HyperAlerts bietet „das Feature, das Facebook vergessen hat“ – und, siehe Update, inzwischen nachgerüstet. Trotzdem einen Blick wert.
Im Auge behalten: Die oben erwähnten Multi-Plattform-Programme wie Seesmic oder Hootsuite bieten rudimentäre Kommentarbenachrichtigung auch für Facebook – es bleibt zu hoffen, dass das besser wird.
Marken-Monitoring
Ein Problem vor allem für die Pressestelle: wie bekomme ich mit, was über mich geredet wird? Wie kann ich meinen Fans (und Kritikern) zuhören, sie erst nehemn – und im Extremfall: frühzeitig auf einen „shitstorm“ reagieren?
- Google Alerts – damit erhöhen sich die Chancen, von Blogeinträgen oder anderen Diskussionen rund um meine Marke etwas mitzubekommen, auch wenn Google für das Social Web (noch) vergleichsweise blind ist. Am besten funktioniert es meiner Ansicht nach, wenn der Alert nicht per E-Mail eintrifft (da kommt zu viel Müll), sondern per RSS-Feed, den man dann über den Google Reader oder eine Alternative wie Netvibes schnell querlesen kann.
- Social Mention – „Google Alerts“ für das Soziale Netz. Behauptung: Ein Socialmention-Alarm beispielsweise mit „Westdeutsch* Rundfunk“ arbeitet nicht nennenswert schlechter als der kommerzielle Internet-Ausschnittdienst. Auch hier gibt es die Möglichkeit, RSS-Feeds einzurichten – die aber meines Erachtens nicht richtig funktioniert.
BoardTracker – Suchmaschine für einen oft vergessenen Teil des Sozialen Netzes: die Foren (Communities, Bulletin Boards).[Update, April 2012: scheint nicht mehr aktiv zu sein]- Das eigene Netzwerk – wird neben den technischen Lösungen oft vergessen, ist aber nicht zu unterschätzen. Je mehr ich in Netzen aktiv und engagiert bin, desto mehr tragen mir meine Kontakte für mich relevante Informationen über meine Marken zu.
Im Auge behalten: Die Zaubereien, die technisch versierte Menschen mit Yahoo Pipes oder YQL anstellen können – gewissermaßen Suchroboter für das Netz, die mehrere Quellen zusammenführen und sortieren helfen: Ein Beispiel, das ich mal gebastelt habe, hier; ein Beispiel (Bionade!) aus der weiter unten erwähnten Social-Media-Monitoring-Magisterarbeit von Stefanie Aßmann hier.
Erfolgskontrolle, reputation management
- Backtype, Backtweets – wer verschickt Links auf meine Seite bei Twitter, oder anders gefragt: welche Resonanz löst ein Post dort aus? Die einmal tägliche Suche nach der eigenen Relevanz.
- Klout – errechnet (für Twitter vor allem) das Gewicht der eigenen Präsenz und die der Follower: wer sind die Influencer? Der Algorithmus ist – wie beim ähnlichen rankmeme – rätselhaft, die Ergebnisse fragwürdig, das Geschäftsmodell undurchsichtig. Trotzdem spannend.
Im Auge behalten: HowSociable, professionelle Monitoring-Dienste wie Alterian, Sysomos oder Radian6
Ein Lesetipp vom Kollegen Ulf Grüner zum Thema Social Media Monitoring: Stefanie Aßmann hat sich in ihrer Magisterarbeit ausführlich mit kommerziellen Anbietern und handgestrickten Alternativen beschäftigt – und auch einige Versuche ausgewertet, die Qualität der gefundenen Ergebnisse zu beurteilen. Viel Text – aber bevor man einen Haufen Geld für einen kommerziellen Monitoring-Dienst ausgibt, müsste die Zeit dafür ja drin sein.
Recherche
- Icerocket ist die Suchmaschine für Blogs und schaut bei Bedarf auch auf Twitter und Myspace. Zur gezielten Suche nach Fachquellen und -themen: Blogs, die sich mit Geranienzucht befassen? Bitte!
- Addict-O-Matic ist ein Wiedergänger einer Technik aus den 90ern – eine Metasuchmaschine für das Social Web, die eine Reihe von Quellen gleichzeitig abfragt. Neben herkömmlichen Suchmaschinen wie der Google-Blogsuche und Microsofts Bing sind die Twitter-Suche und Video-Trends bei Youtube integriert – und vieles andere. Wie es sich im Web 2.0 gehört, kann man sich die abgesuchten Quellen aus einer reichhaltigen Auswahl zusammenstellen. Gut, wenn man sehen will, was so heiß ist rund um ein Thema.
- Booshaka! ist meiner Meinung nach die beste Suchmaschine für öffentliche Facebook-Posts und -Trends. (Geschmackssache; andere bevorzugen Kurrently oder das eher satirisch angelegte YourOpenbook.) Egal: Eine Facebook-Suchmaschine braucht man – auch wenn ein Großteil aller Posts bei Facebook nicht öffentlich sind und somit nicht in der Suche auftauchen. (Und dran denken: „Öffentlich“ heißt noch lange nicht, dass ich die Inhalte selbst weiterveröffentlichen darf…)
Im Auge behalten: Die Frageplattform Quora fürs Crowdsourcen, das deutsche Commentarist für Meinungsbilder.
Teamarbeit, Wissensmanagement
- Diigo. Wie man an meiner wohlgefüllten Diigo-Linkliste sieht: ich möchte dieses Tool nicht mehr missen. Nicht nur, dass man sich beliebige Fundstücke im Netz speichern und verschlagworten kann – man kann mit Diigo im Netz unterstreichen! Und sich Post-It-Notizen an Webseiten kleben. Richtig wertvoll wird Diigo aber erst durch seine Social-Networking-Funktionen, vor allem die Gruppenfunktion – ein Team kann eine (öffentliche oder geheime) Recherchegruppe gründen und Fundstücke von Interesse für alle dort ablegen. Und alle Gruppenmitglieder bekommen die dann per Mail als täglichen oder wöchentlichen Nachrichtenservice.
Eine Schwäche allerdings hat Diigo: Die Recherche ist grausam und unzuverlässig. Allein deshalb lohnt es sich, den Social-Bookmarking-Veteranen Delicious parallel zu nutzen (Diigo lässt sich so einstellen, dass alle Fundstücke automatisch auch zu Delicious gespeichert werden). Zur Recherche in meinen oder fremden Bookmarks ziehe ich Delicious und seine sehr gute Suche dann wieder vor. - Google Docs. Natürlich darf man ein dummes Gefühl dabei haben, interne Dokumente Google anzuvertrauen, aber um mal eben schnell eine gemeinsame Liste über mehrere Personen/Redaktionen zu führen – wer dreht wo welche
- Ein eigenes Wiki. Intern oder extern – ein Wiki ist eine wunderbare Methode, um kollektives Wissen zu konsolidieren und zugänglich zu machen, und ersetzt Redaktions-Zettelkästen. (Allerdings benötigt ein Redaktionswiki Disziplin und Regeln – wie jedes kollektiv genutzte Werkzeug.) Zum praktischen Einsatz der „richtigen“ Wiki-Plattform siehe den nächsten Punkt.
Im Auge behalten: das gefloppte Google Wave (und zwar deshalb); typewith.me – eine Möglichkeit, mit anderen gemeinsam einen Text in Echtzeit zu verfassen und zu überarbeiten. (Ein so genanntes „Etherpad“, das beispielsweise von Mitgliedern der Piratenpartei bevorzugt bei der Protokoll-Erstellung verfasst wird.)
Virtuelle Basecamps
Mal eben schnell eine Präsenz anlegen? Hier sind die Werkzeuge dazu.
- Posterous -Eignet sich für ein Projekttagebuch, für eine Notizsammlung, für Fotoprotokolle, fürs Liveblogging oder einfach zum Verteilen von Content in mehrere Plattformen hinein. Was immer man im Netz haben möchte – Mail an Posterous reicht, und man muss sich noch nicht einmal anmelden. Einfach zu gestalten, einfachst zu benutzen – und der große Vorteil: Posterous versteht sich darauf, die Inhalte gleich auf eine Reihe von weiteren Plattformen wie Facebook oder Twitter zu schicken.
- WordPress – ein Blogsystem, das auch ohne Programmierkenntnisse aufgesetzt und administriert werden kann (wenn auch nicht unbedingt: sollte). Setzt, wenn man nicht auf WordPress.com als Hoster angewiesen sein will, einen Server mit PHP und MySQL voraus. Über Plugins fast beliebig erweiterbar, auch um sehr mächtige Social-Media-Funktionalitäten (was nochmal ein Extra-Thema wäre). Dieses Blog läuft unter WordPress, big deal.
- MediaWiki – der Motor der Wikipedia. Benötigt einen Server mit PHP und MySQL – wie WordPress. Und es gibt sogar Wege, für beide Systeme eine einheitliche Passwort-Verwaltung zu pflegen. Das Mediawiki hat gravierende Schwächen: Es ist nicht besonders multimedial und auch sonst nicht unbedingt ein Traum an Verständlichkeit für Nutzer und Betreiber, aber ein gutes Arbeitspferd zur Wissenssicherung (ich weiß, wovon ich rede). Unbedingt anschauen sollte man sich die Plugins, die bei MediaWiki „Extensions“ heißen, und dort ganz besonders eins, mit dem Otto Normalnutzer zum Arbeiten an seinen Artikeln „Word“-ähnlichen Komfort bekommt: der FCKEditor.
Eine tolle Inspirationsquelle…
…war dieser Artikel der KlicKKomplizen: 5 kostenlose Social Media Monitoring Tools. That’s the spirit, boys!
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