Ob Arte gut beraten war, ausgerechnet Sascha Lobo als Lobbyistendarsteller für die Web 2.0-Generation in Szene zu setzen? Zugegeben: Die Berliner Bürste ist blitzgescheit und hat auch Unterhaltungswert. Würde Sascha Lobo nur nicht so fürchterlich viel Energie darauf verschwenden, Sascha Lobo zu sein! Vielleicht käme er dann mal zu was Sinnvollem. Wenn man wirklich einen Lobbyisten 2.0 in Berlin sucht, wird man an anderer Stelle fündig. Als Nebenprodukt eines hr-iNFO-Beitrags über die Politisierung der Netzbürger habe ich ein kleines, vor Wochen angefangenes Porträt über ihn zu Ende geschrieben.
Die Worte gehen ihm so schnell nicht aus. Das sollte man schließlich auch erwarten können von einem, der Politik machen will: dass er reden kann. Und die Regeln des öffentlichen Spins beherrscht, des Kampfs um das richtige Bild, um die Schlagworte in der Öffentlichkeit. Die Lobbyisten selbst, die Dressurreiter der öffentlichen Meinung, waren traditionell eher Dunkelmänner -Markus Beckedahl lebt von der Öffentlichkeit. Nicht von der Öffentlichkeit um seine eigene Person – die Eitelkeit, die einen „spin doctor“ wie den Ex-Stoiber-Berater Michael Spreng zum Bloggen treibt, scheint ihm fremd – sondern von der Offenheit, die erst das Netz und die soziale Software der Blogs und Microblogs, der digitalen Netzwerke möglich gemacht haben.
Und doch ist es wichtig, nicht bei der Person aufzuhören, die da charmant und unterhaltsam über die Bürgerrechts- und Datenschutzkampagnen von netzpolitik.org plaudert. Aber anfangen sollte man bei ihr: Immer im Gespräch, nach allen Seiten offen, ein Kommunikator, der sein Talent zum Beruf gemacht hat und heute von seiner Politikberatungsfirma lebt.
Auch in Köln kommen die anderen danndoch kaum zu Wort. Hier, Ende Mai auf der Polit-Konferenz „Sigint 09“ des Chaos Computer Clubs, ist Markus Beckedahl unter Freunden – großen Wert legt darauf, dass das Politik-Watchblog netzpolitik.org nicht allein sein Werk ist – seine Vortragsstunde bei der Sigint hat Beckedahl dann doch praktisch allein bestritten; sein Mitstreiter Ralf Bendrath sitzt praktisch unbemerkt nebendran; auch das Twitter-Account on Netzpolitik ist im Prinzip Markus allein.
PR 1.0: Die Sache mit den richtigen Bildern kann er schon lange. Mit sichtlichem Vergnügen erzählt Markus von der Sache mit den Pinguinen. Als Microsoft Bundestagsabgeordnete 2002 zu einer Lobbying-Gala lud, und auf diesem Fest der guten Freunde dann plötzlich eine Reihe mannsgroßer Pinguine die Idee der quelloffenen Software vertraten. Bei Greenpeace geliehen, erzählt Markus, und freut sich immer noch diebisch – und vor meinem inneren Auge taucht das Bild des damaligen Organisators der Microsoft-PR auf, den ich damals interviewt hatte. Moritz Hunzinger, der Frankfurter Musterlobbyist. Selbstzufrieden war er damals, kurz vorm Platzen. Ob er wohl ahnte, dass Leute wie Markus Beckedahl seine mächtigsten Gegner werden würden?
Der ist nämlich nicht bei den Bildern für die Presse stehengeblieben. Hacking the media – ein Spiel, das er auch heute beherrscht, ebenso zielsicher wie kosteneffizient; „zwei Leute, die das Plakat halten, und ein Transparent, mehr braucht man nicht“, erklärt er. Wenn dann noch zufällig ein Kamerateam der etablierten Medien in der Nähe sein sollte – um so besser. Aber bei PR 1.0 ist Markus nicht stehen geblieben – da war ja noch das Blog. Erst etwas, was man halt so tat. Aber dann, vor einigen Jahren, da merkte er plötzlich, dass sein kleines Blog eine ungeahnte Schubkraft entwickelt hatte. Alles, was er tun musste, war die Energien zuzulassen, die sich dort entfalteten; auf den Wellen Und statt eines Erstkontakters von Entscheidungsträgern hat er sich zur Nabe eines kommunikativen Rades weiterentwickelt: zu Mister Netzpolitik.org.
Diese Rolle bedient er konsequent und mit der Respektlosigkeit, die man von einem Revolutionär erwartet. Seine Community ist äußerst aktiv, auch weil sie weiß, was sie an ihm hat – und dass sie sich darauf verlassen kann, dass Markus immer wieder Wege finden wird, das analoge Establishment zu ärgern: sei es durch Live-Tweets (oder -Streams!) aus Ausschuss-Sitzungen hinter verschlossenen Türen, sei es durch die Verbreitung effektiver Kampfbegriffe wie „Zensursula“. Netzpolitik ist immer noch Punk.
Die Pointe ist, dass dieser freundlich-harmlose Brillenträger, der selbst mein Etikett „Lobbyist 2.0“ sanft weglächelt, einer der einflussreichsten Medienpolitiker werden könnte. Und ich weiß nicht, ob mich das wirklich stört.
Anmerkung, 17.3.2012: Dieses fast drei Jahre alte Porträt habe ich beim Aufräumen gefunden – ich hatte es heruntergeschrieben, als die Erinnerungen an die Sigint 2009 noch frisch waren, aber nie abgeschlossen und publiziert. Was ich schade finde – der Schnappschuss ist es wert, dass man ihn ab und zu wieder zur Hand nimmt und mit dem Dargestellten vergleicht. Also habe ich es jetzt doch noch online gestellt, ergänzt um ein paar abschließende Sätze im Spirit von damals. Was den ganzen Post zu einem sehr fragwürdigen Bastard macht. Ich hoffe, dass man ihn trotzdem mit Gewinn und ohne Ärger lesen kann.
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