Wissen Sie, was ein Barcamp ist? Eine Konferenz, die keine Konferenz sein will – eine Unkonferenz. Schneller beschrieben ist, was es nicht ist: eine Tagung mit für teures Geld engagierten Rednern, zwischen deren Vorträgen die zahlenden Gäste allenfalls Zeit haben für einen schnellen Kaffee. Auf Barcamps gibt es keine Trennung zwischen Vortragenden und Publikum; das bringt die Themen, die es behandelt sehen möchte, selbst mit. Das funktioniert? Das funktioniert hervorragend – und führt, trotz des Wundertütencharakters einer Konferenz ohne festen Themenplan und mit starkem Informatikerüberhang, zu spannenden Begegnungen mit Menschen und Themen. Und es macht einen Heidenspaß – ganz besonders, wenn die Organisatoren derart liebevoll für einen wohlorganisierten Rahmen für die organisierte Unorganisiertheit sorgen wie beim letzten Barcamp, an dem ich die Ehre hatte teilzuhaben. (Mehr über die Veranstaltung u.a. bei Kikuyomoya, Frank Hamm und Jan Schuster.)
Das Barcamp in Darmstadt vergangenes Wochenende mit fast 300 Teilnehmern habe ich in einer Doppelrolle erlebt – als Reporter (für ein hr2-Wissenswert im Dezember) und als vortragender Teilnehmer. Dabei konnte ich noch einmal über Datenjournalismus reden (das Projekt „Klickbarer Haushalt„, dessen erste Resultate ich hier schon eimal gesammelt habe, ist seit ein paar Tagen online) – und die klare Erfahrung sammeln, dass eine Prezi-Präsentation auf einem Linux-Kleinstrechner einfach nicht funktioniert. Kommentar eines (sehr wohlgesonnenen) Webentwicklers: Ein Flash-Ding wie Prezi auf etwas anderem als Windows – das ist ein Rezept für eine Panne.
Schon deshalb habe ich meine zweite Session ganz ohne Computerhilfe bestritten, mit gemalten Moderationskärtchen: ein Versuch, die Medienökonomie der linearen Medien zu erklären – und ihre Schwierigkeiten mit dem Medienwandel in Zeiten des sozialen Internets ein bisschen besser begreifbar zu machen. Ein kurzer Abriss der Thesen zum Nachlesen nach dem Klick.
Medienökonomie des 20. Jahrhunderts – analoge Welt:
Ein Ereignis wird von Redaktionen bearbeitet, die nur auf ihren jeweiligen Medienkanal schauen. Diese Kanäle sind klar voneinander abgegrenzt. Da die Sendezeit bzw. der Platz begrenzt ist, wählen die Redaktionen aus. Sie schnüren Einzelbeiträge zu Paketen – Sendungen oder Zeitungen – die sie ihren Kunden am Stück ausliefern. Die Auswahl orientiert sich an einer vordefinierten Zielgruppe und versucht diese möglichst vollständig auszuschöpfen, indem sie auf den „Mediannutzer“ zielt – also denjenigen, der geschmacklich genau in der Mitte der angepeilten Zielgruppe steht.
Medienökonomie des 21. Jahrhunderts – Internetzeitalter
Das „Multimedium“ Internet eignet sich zur Verbreitung von Text, Bild, Bewegtbild und Ton (und natürlich Animationen und interaktiven Formen wie Abstimmung, Quiz, Diskussionsforum…) Redaktionen tendieren nun dazu, crossmedial zu arbeiten, um Doppelstrukturen zu vermeiden und Inhalte besser aufeinander abzustimmen. Die Grenzen zwischen den Medienangeboten weichen auf, die Anbieter machen sich verstärkt Konkurrenz.
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts versuchen Medienanbieter, sich einen guten Start in das neue Medium zu verschaffen, indem sie existierende Angebote einfach ins Netz übertragen haben – allerdings ist diese Strategie aus mehreren Gründen problematisch:
- Inhalte lassen sich nicht gut aus einem Medium ins andere übertragen – man merkt ihnen ihre Herkunft an, und „Cut&Paste“ ist im Zweifelsfall einem extra fürs Internet gebauten Angebot weit unterlegen.
- Die zunehmende Medien-Konvergenz ist nur ein Teil des Wandels: Das Internet ermöglicht die weltweite Verbreitung von Inhalten zu Grenzkosten von praktisch null1. Plötzlich also sehen sich die Medienanbieter einer weltweiten Konkurrenz ausgesetzt. Da Inhalte einfach zu vergleichen sind, wird sichtbar, dass ein Großteil der Angebote nichts anderes ist als die Auswahl aus dem immer gleichen Agenturmaterial – eine Dienstleistung, die im Internet-Zeitalter massiv an Wert verloren hat.
- Die Online-Klientel unterscheidet sich deutlich von der Klientel des Stamm-Mediums (Beispiel Zeitung: nur 10-15% Überlappung zwischen Online-Nutzern und Abokunden); die Vorstellung: Wenn der Nutzer erst einmal unser tolles Online-Angebot kennen gelernt hat, dann abonniert er auch die Zeitung, ist irrig.
- Auch im Netz nehmen die Anbieter immer noch an, dass der Nutzer Pakete geschnürt bekommen will und man mit einem Paket-Angebot die gesamte Zielgruppe abdecken kann – Inhalte im Netz werden aber immer stärker aus ihrem Kontext herausgelöst konsumiert; die Nutzer picken sich die Inhalte heraus, die sie wirklich interessieren, und ignorieren den Rest.
- Die am Massengeschmack der großen Zielgruppen orientierten Pakete konkurrieren mit Spezialinhalten, die Nischen bedienen.
Da bezahlbare Soft- und Hardware fast jedem Medienproduktion zu vertretbaren Kosten erlaubt, konkurrieren die professionellen Medien-Anbieter auch mit „Prosumenten“. Jeder kann in der digitalen Welt zum Publizisten werden – und praktisch alle digitalen Angebote bieten Rückkanäle. Der Sender, dem alle zuhören, ist passé und weicht dem Dialog der vielen.
Mehr zu den grundsätzlich anderen Medienlogiken von Internet- und Analogzeitalter hier: Der sendungsbewusste Sterbekandidat – das Problem mit dem Radio 2.0
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