CNN weiß es – verrät aber noch nicht viel.
Glücksfall in Frankfurt: Weil CNN Europe hier unlängst wohl gefeiert hat, und weil Frankfurt vergleichsweise viele Werber hat, hat der Nachrichtenkonzern eine hochspannende Studie heute auf dem MedienMittwoch erstmals in Deutschland vorgestellt. CNN hat die Verbreitung von Stories über Facebook, Twitter und Co. gründlich untersucht und dabei Erkenntnisse gewonnen,
- wie sich Stories im Sozialen Internet verbreiten – und wer dafür besonders wichtig ist,
- welcher Typ Story besonders häufig weitergegeben wird, und
- was ein Sender (und damit der Anzeigenkunde) davon hat.
Der Reihe nach. Die CNN-Anzeigenabteilung hat in diesem Jahr eine große Social-Media-Verbreitungsstudie durchgeführt. Die Studie trägt den einigermaßen idiotischen Namen POWNAR – das steht für: „The Power of News And Recommendations“ – und viel mehr als ein paar dürre Presseerklärungen gibt es noch nicht, was schade ist, aber verständlich. Ziel der Studie war, zu belegen, dass CNN für Werber besonders wertvoll ist, weil CNN auf Social Media setzt.
Dazu haben die Marketingforscher gewaltigen Aufwand getrieben – 13 Länder, sieben Monate Vorbereitung, von Juni bis August 2010 im Feld. Und sie haben sich einige sehr clevere Tricks ausgedacht, um herauszufinden, was sie herausfinden wollten.
1. Wer teilt mit wem?
Sind Social-Media-Plattformen wirklich wichtig für die Reichweite eines Medienunternehmens? Nun wird sich ja kaum noch jemand trauen, das mit „Nein“ zu beantworten, aber CNN wollte es genauer wissen. Dazu wurden über mehr als sieben Wochen alle News-Stories mit einer individuellen Markierung versehen, außerdem bekamen CNN-Nutzer ein Tracking-Cookie untergeschoben. So konnte CNN verfolgen, wer tatsächlich einen CNN-Artikel in sein Netzwerk postet – und welche Folgen das hat.
Die lassen sich am besten mit „Kleine Ursache, große Wirkung“ umschreiben. Keine Überraschung: nur ein Bruchteil der Besucher von CNN.COM teilt die Artikel dort mit seinen Facebook- oder Twitter-Freunden; rund 2% sind es. (CNN steht damit, gemessen an der 90-9-1-Regel, gar nicht schlecht da, finde ich.) Im Durchschnitt bringt aber jeder, der einen Artikel teilt, fünf andere dazu, sie zu lesen – anders gemessen: 11 Prozent seiner unique visitors führt CNN auf die teilbereiten 2 Prozent seiner Nutzer zurück.
Der Durchschnitt von fünf Mitlesern je geteiltem Artikel verschleiert außerdem, dass einige wenige Nutzer enorm einflussreich sind. CNN hat diese „Influencer“ ins Visier genommen, und Didier Mormesse berichtete von einem Sonderfall: Eine Nutzerin, die nicht nur viele Freunde bei Facebook erreicht, sondern Stories auch aktiv in Plattformen anderer Sprachräume überträgt – und so in mehreren Wellen 5.200 Menschen zum Lesen eines Artikels bringen kann. (Die Frage, wie CNN um diese Influencer wirbt, wurde nicht weiter ausgearbeitet.)
2. Was wird mit anderen geteilt?
Rund 40 Prozent aller Artikel, die CNN in den besagten sieben Wochen veröffentlichte, wurden geteilt – schön, wenn man so groß ist. CNN hat diese Artikel codiert, aufgeschlüsselt in den drei Dimensionen „Erzähldramaturgie“, „Thema“ und „Kernbotschaft“. Die Dimensionen haben drei (Dramaturgie), zehn (Thema) und vier (Botschaft) Kategorien, was insgesamt 120 verschiedene Storytypen ergibt. Tatsächlich kommen die meisten nicht vor – fünf „Archetypen“ machen fast die Hälfte aller weiterverbreiteten Stories aus; leider habe ich ausgerechnet diese Folie nicht fotografiert.
Die vielleicht spannenste Erkenntnis konnte ich aber festhalten: Der Nachrichten-Riese CNN musste erkennen, dass gerade die imageprägenden Breaking News nicht gut funktionieren. Eigentlich logisch, findet Mormesse – „because Breaking News is everywhere. People don’t need it.“ Die meiste Resonanz lösen Inhalte zu weitergeschriebenen Geschichten aus – rund zwei Drittel der von Nutzern geteilten Stories sind von diesem Typ. Ein Beispiel: Das Drama um die Bergarbeiter in Chile. Und der, wenn ich mich erinnere, erfolgreichste Archetyp ist exklusives, reizvolles Videomaterial, das Wissen vermittelt zu einer Geschichte in Entwicklung – rund ein Zehntel aller weitergeschickten Geschichten ist von diesem Typ.
Das mag methodische Schwächen haben – Texte von Experten codieren lassen ist ein notorisch unzuverlässiges Verfahren. Aber spannend bleibt es. Ebenso wie das, was CNN jetzt mit diesen Geschichten gemacht hat.
3. Die emotionale Reaktion – gemessen
Achtzig Testpersonen wurden verkabelt und außerdem mit einem Eyetracker überwacht; aus ihren körperlichen Reaktionen wurde ein Reaktionsindex erstellt: Wie stark zeigen sich emotionale Reaktionen auf die Geschichten, die sie über soziale Netze erhalten haben? Die wenig überraschende, dabei auffallend deutliche Erkenntnis: Inhalte, die wir über Empfehlungen von anderen bekommen, berühren uns emotional ungleich mehr; Mormesse spricht von einer 3,7mal stärkeren Reaktion als bei Artikeln, die sich der Nutzer aus einer Seite selbst aussucht. Und schließt gleich den letzten Teil der Studie an: Werbung, die in diesem Umfeld platziert ist – am besten als vorgeschaltete Werbung im Video – funktionert auch messbar besser.
Was macht CNN damit?
Wenn man Didier Mormesse glauben darf: nur Anzeigen verkaufen. Als ich ihn frage, was die Redaktionsleitungen von CNN zu diesen Erkenntnissen sagen, gibt sich der Marketingman ein wenig indigniert. Er spricht vom hohen journalistischen Ethos bei CNN – nie, nie, nie würde eine CNN-Redaktion nach etwas anderem über ihre Stories urteilen als nach journalistischen Standards. Ernüchternd: Der Marketingmann hält dem Journalisten eine Predigt über journalistische Ethik…
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