Und um halb neun stellen sich Nadja und Philipp die Sinnfrage. Was hat ein Nutzer eigentlich von einer App zur Einsplus-Sendung „Auf 3 Sofas durch…“? Wo liegt der Mehrwert? Wie gestalten wir das Verhältnis zu Facebook und Instagram, wo sich die Zuschauer natürlich auch finden, und finden sollen? Die beiden diskutieren konzentriert – und lange. „Seid ihr schon fertig, oder was?“ kommentiert das ein Programmierer aus dem Zeitreise-Team, der nach einer Dreiviertelstunde erneut bei den beiden vorbeikommt.
Noch lange nicht. Sie werden am Ende über zwei Stunden über die Nutzersicht der Dinge diskutiert haben.
Das Traurige ist, dass wir Journalisten diese Art Diskussion nicht allzu oft führen. Viele unserer Angebote – gerade auch Webangebote – sind von dem her gedacht, was wir können; weniger von dem, was unsere Nutzer wollen. Das hat in einer analogen Medienwelt funktioniert – es reicht, dass ein Angebot gut genug ist, wenn es durch eine regionale oder technische Grenze abgesichert ist, durch ein Sendegebiet oder durch ein gut an uns gewöhntes Stammpublikum; in der digitalen Welt heißt es: Winner takes all.
„Wenn ich zwei Apps habe, und die eine erfüllt meine Bedürfnisse zu 85 Prozent, die andere aber zu 95 Prozent, nehme ich natürlich die mit 95 Prozent“, sagt Walter, der mit drei seiner Programmierer-Kollegen als kleines Hackathon-Samurai-Team angereist ist. Sie haben sich schon an einigen Medien-Hackathons erfolgreich beteiligt und wissen, dass sie auf Menschen aus einer völlig anderen Welt treffen. Ihre sieht so aus: Keine langfristigen Projekte, sondern schnell gebaute Prototypen mit begrenztem Funktionsumfang und klarem Nutzen – überschaubare Enwicklungs-Intervalle helfen auch, dass das, was Walter die „goldenen Griffe“ nennt, erst gar nicht entsteht: Sonder- und Detailwünsche. Der Prototyp muss sich dann relativ schnell bei den Usern bewähren; wenn die andere Wünsche haben, versucht man es erneut. Ganz im Sinne des Agile-Development-Lean-Startup-Paradigmas, nach dem digitale Unternehmen erfolgreich arbeiten.
Und darin liegt für mich der eigentliche Sinn eines Medien-Hackathons, eines 24-Stunden-bis-zum-Prototyp-Camps mit Codern und Medienmachern: Der Kontakt mit der anderen Kultur. Mag sein, dass wir am Ende etwas gebaut haben, das so gut ist, dass uns jemand Geld gibt, es zu Ende zu bauen. Sehr wahrscheinlich, dass alle verdammt stolz auf das sind, was sie gebaut haben. Sicher, dass wir morgen alle mit einem Grinsen im Gesicht nach Hause gehen, weil wir die Nacht durchgemacht haben. Der Gewinn liegt auf jeden Fall im Kontakt mit der Welt der Jünger Mark Zuckerbergs: „Move fast and break things“, hat der ja mal gesagt. Und auch, dass die alten Medien nie so werden können wie Facebook. Na ja, wir können’s wenigstens versuchen. Ein Stück weit.
Und die Ballons, die hier zu Bruch gehen? Die sind ein „running gag“ – eine visuelle Uhr. Jedes Mal, wenn eine Stunde der verbliebenen Restzeit um ist, zersteche ich einen Ballon.
Projektfindung
Getroffen haben sich die knapp 30 Hackathon-Teilnehmer am Mittag. Es sind einigermaßen zu gleichen Teilen Leute mit journalistischem und Entwickler-Background. Kurze Vorstellungsrunde – wer bin ich in drei Hashtags? – dann kommen die Pitches: Wie bei einem Barcamp reihen sich alle, die eine Idee mitgebracht haben, auf, stellen sie nacheinander vor und versuchen so, Mitstreiter für die Umsetzung ihrer Idee zu finden. Dann werden Punkte geklebt – orange für Coder und Designer, blaue für Journalisten, damit klar wird, ob die Teams funktionieren können.
Um 14 Uhr 30 beginnen vier Projektteams die Arbeit:
- Das Team Sofa will die eingangs erwähnte App zu der Einsplus-Sendung „Auf 3 Sofas durch…“ stricken, die ja ein Reisemagazin der anderen Art ist – und in der App sollen Hintergrundinfos und Kommunikation rund um die Sendung zusammenfinden.
- Das Team Zeitnetz will die Nutzer an historischen Orten auf Zeitreise gehen lassen: Wer, sagen wir mal, in Hamburg durch die alte Speicherstadt geht, findet QR-Codes und darüber Infos, historisches Film- und Bildmaterial, Nützliches und Schönes.
- Das Team #fastlivedabei baut einen Prototypen für eine interaktive Fernsehsendung: In den Livestream etwa von der ersten Ausfahrt eines Großschiffs können die Nutzer sich selbst einblenden – einfach über die Kamera ihres Smartphones.
- Das Team Newsjunkie will Nutzer süchtig machen nach News – indem es Neugier gamifiziert: Ein Newsquiz, bei dem man Infos und Hintergründe zum Tag in den Nachrichten bekommt, einfach indem man (gegen andere) spielt. Durch den Tipp eines aus der Ferne mitlesenden Kollegen lernen wir, das der emsige Schweizer Rundfunk mit politbox.ch etwas ganz Ähnliches zu den nächsten Wahlen vorhat; so falsch kann die Idee also nicht sein.
Um 10 Uhr morgens beginnt das Corporate Media Forum der Nordmedia, das den Rahmen für den Hackathon abgibt; bis dahin sollten Grundzüge zu sehen sein. Um 13 Uhr 30 präsentieren die Teams den versammelten Industrie- und Medienvertretern ihre Projekte.
Wäre auch schön gewesen, aber…
Bei der oben erwähnten Teamfindung sind ein paar Projekte unter den Tisch gefallen:
- Eine interaktive Schatzsuche rund um eine vor 150 Jahren im Rhein versunkene Dampflok und deren mögliche Bergung.
- Ein Projekt, um bei Social-TV-tauglichen Events den Second Screen auf den First Screen zu bringen: ein Crawl mit Twitter- und Facebook-Kommentaren (Gibt’s streng genommen schon: den Teletwitter.)
- Eine grafische Oberfläche für einzelne Funktionen der Windows-Powershell.
- Ein datenjournalistisches Projekt: Wie viel von einem Gesetz ist tatsächlich umgesetzt worden? Angelehnt an das Truth-O-Meter. (Zugunsten des Newsquiz-Projekts zurückgestellt.)
- Ein Newsgame, das die Nutzer Reporter spielen lässt: Hier habt ihr das Material, macht was draus! Und später im Fernsehen zeigen wir dann, wie wir’s gemacht haben.
- Eine interaktive App für die „Logo“-Kindernachrichten.
- Themen in Bewegung: die statische Darstellung von Nachrichten, die ja immer noch von der Zeitung stammt, ablösen durch ein dynamisches, prozessjournalistisches Format.
- Eine interaktive TV-Show, in der sich die Nutzer über ihre Handy-Kamera einschalten lassen – und dann von einer Software in einen dynamischen Avatar umgewandelt werden. (Im #fastlivedabei Projekt aufgegangen.)
Hier gibt’s einen Tumblr vom Event, das Hashtag ist #ardzdfhack
Ein wenig Kleingedrucktes: Anders als die meisten anderen Hackathons ist dieser nicht komplett über Sponsoring finanziert; die journalistischen Teilnehmer – bzw. ihr Arbeitgeber – müssen eine Teilnahmegebühr dafür zahlen, die Nacht durcharbeiten zu dürfen. Das kann man ja als eine Art Sponsoring durch die ARD-Sender sehen, die im Idealfall auch am meisten Nutzen aus dem Hackathon ziehen. Und ich bin als Trainer hier.
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