Wann lernen Kinder, wie digitale Medien funktionieren? Den ersten Kontakt haben sie noch zu Kindergartenzeiten, bewusst nehmen sie das Internet und seinen Reichtum in der Grundschule wahr.
Ich kann das gerade sehr gut an meiner achtjährigen Tochter beobachten, die im Urlaub am Meer von all den angeschwemmten Quallen erst verschreckt, dann fasziniert war und – nach einem ausgefüllten, heißen, fröhlichen Tag Quallenforschung mit Eimern und Sandschaufeln – mehr wissen wollte: Wie sind die Quallen aufgebaut? Wie leben sie? Welche Arten gibt es?
Ich fand es sehr interessant, sie bei der Informationsgewinnung zu beobachten (und ein wenig zu unterstützen).
Ein Kind recherchiert
- Erster Schritt: Zugang. „Bekomme ich dein Telefon? Na gut, das iPad?“ Ich setze mich mit ihr und dem Tablet hin.
- „Das Internet lässt mich nicht ‚Holländische Qualle‘ eingeben!“ Was passiert ist: sie hat versucht, die Suchworte in die Browser-Adresszeile einzugeben, und dann auf die automatischen Vorschläge geklickt. Das führte unter anderem zu Treffern von Touristik-Seiten – auch weil die Rechtschreibung bei einer Drittklässlerin noch nicht stabil ist und die Vorschläge in die falsche Richtung führen können; das Problem wird später bei der Suche nach der Ohrenqualle wieder auftauchen.
- Ich helfe ihr, die richtigen Suchworte auszuwählen – „Du wolltest doch die Niederländische Qualle suchen?“ und erkläre ihr, dass sie eine gute Quelle suchen soll: Wikipedia, das ist so etwas wie ein Lexikon.
- Sie wählt einen Wikipedia-Artikel aus – über das von Google vorgeschlagene Foto. Es stellt sich heraus: Was ihr der freundliche Strandwächter als „Niederlandische Qualle“ vorgestellt hat, ist eigentlich eine Kompassqualle. Erstes Aha, erstes Erfolgserlebnis!
- Sie will mehr über andere Quallenarten lesen. Ich erkläre ihr, dass sie auch in Wikipedia selbst suchen kann. In das richtige Suchfeld zu klicken – das bekommen auch Erwachsene nicht immer hin; ich unterstütze sie ein wenig.
- Die Suche nach der Ohrenqualle wird ein wenig gebremst durch das schwierige Rechtschreibwort „Ohren“. Ich helfe ein wenig, damit die Auto-Vervollständigung den richtigen Artikel vorschlagen kann. Nächster Sucherfolg!
- Nachdem sie selbst eine Weile in dem Artikel gelesen hat, gibt sie abermals das Suchwort „Quallen“ in die Browser-Adresszeile ein – und wird als nächstes auf die Videos aufmerksam, die Google prominent vorschlägt.
- Einer der ersten Treffer ist ein ARD-Video mit einer Marke, die sie kennt: „Wissen macht Ah! Darf ich das Video?“ (Ich unterdrücke die rituelle Ergänzung: „…haben!“ und sage: natürlich.)
- Im Anschluss schlägt ihr Youtube weitere Videos vor – sie folgt dem ersten Vorschlag: ein Video von Galileo, das sich um die größten/längsten Lebewesen der Erde dreht – darunter auch Staatsquallen.
- Noch einmal gibt sie das Suchwort in ein Suchfeld ein, diesmal direkt bei Youtube.
- Sie wählt das nächste Video einfach nach Profilbild aus – wenn ich es richtig sehe, geht es dabei um Außerirdische im Bermudadreieck. Damit ist sie an der Eingangstür des „Youtube Rabbit Hole“, des Eingangs ins Wunderland – in dem einen Klick hinter den journalistischen und unterhaltenden Inhalten die Verschwörungstheoretiker warten.
Lasst die Kinder damit nicht alleine
Kinder haben den Riesenvorteil, dass sie all diese Technologie einfach so nutzen und das für sie beste Ergebnis erzielen – ohne darüber nachdenken zu müssen. Wir haben den Riesenvorteil, dass uns auffällt, was sie nicht hinterfragen, und dass sie bei einigen Punkten Hilfe brauchen.
- Kinder schauen nicht auf die Quellen. Alles, was im Internet steht, ist für sie erst einmal gleich wahr.
- Sie machen zunächst keinen Unterschied zwischen den Informationsvermittlern (Google, Youtube) und den Informationsquellen. Ich habe es mit einer Analogie versucht – Wikipedia und tagesschau.de sind wie die Eisläden, die ihr Eis selber machen, Google ist der Kiosk nebenan, der nur Eis aus der Fabrik verkauft. (Okay, ein wie Wikipedia organisierter Eisladen… lieber nicht drüber nachdenken. Einer meiner Lieblings-Scifi-Autoren hat mal geschrieben, man solle nicht an Metaphern kratzen, das gibt nur bösen Schorf.)
- Wo kommen Inhalte her? Der vermutlich größte Gewaltakt, aber der wichtigste: Die Kinder immer, immer wieder dazu bringen, dass sie nach der Quelle fragen. Aus welcher Fabrik kommt das Eis? Ist der Hersteller für saubere Zutaten bekannt, oder ist es eher so jemand wie der Fuchs in Zootopia?
Quellen sauber unterscheiden – dass der Aufreger-Artikel eben nicht von Facebook kommt und auch nicht von Onkel Gerhard, der ihn geteilt hat, sondern von einer rechten Hetz-Seite – das bekommen ja auch Erwachsene meist nicht hin. Um so wichtiger ist es, Kinder darauf zu trainieren, danach zu gucken.
- Wer sagt mir was? Wann rede ich mit Google, wann mit Youtube?
- Gefährliche Gegenden erkennen. Youtube vorerst nur in elterlicher Begleitung. Auch Youtube Kids ist kein Schutz davor, auf Unsinn und Propaganda umgelenkt zu werden.
- Nach welchen Regeln bekomme ich Inhalte vorgeschlagen? Jetzt muss ich nicht die Feinheiten des Youtube-Algorihmus kennen, aber ich muss verstehen, dass er versucht, meine Vorlieben zu erahnen und das vorschlägt, was bei anderen deutliche Reaktionen auslöst.
- Lohnt es sich, mal zu vergleichen? Rhetorische Frage, klar. Aber wenn den Kindern klar wird, dass zu ein und derselben Frage unterschiedliche und widersprüchliche Antworten im Netz stehen, sind sie vermutlich eher bereit, mehrere Quellen zu konsultieren.
- Praxistipps: Was sind gute Anlaufstellen für wissbegierige Kinder? Auf dem iPad der inzwischen Neunjährigen – das nur über eine Whitelist Zugang zum Internet hat – sind freigeschaltet: fragfinn.de, blindekuh.de, Wikipedia, die Tagesschau und die Seiten einiger linearer Marken, die sie kennt – Kika, Wissen macht Ah!, ein paar weitere.
- Fernsehen bildet – erste Markenpräferenzen. Völlig klar: irgendwann ist lineares Fernsehen für die Kleine unwichtig. Aber dass sie Ralph aus „Wissen macht Ah!“ kennt und die Maus, das hat ihr geholfen, sich zurecht zu finden.
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