"A journalist who is also a bad programmer, stylized in the style of Gary Larson"

Rettet das Radio!

25 Hochschüler auf der crossmedialen Mission Impossible

Erfahrene Campusradio-Macherin beim Schneiden der Umfrage
Erfahrene Campusradio-Macherin beim Schneiden einer Umfrage

Und gleich zu Anfang wecke ich falsche Erwartungen. Lernen, sage ich, könne man ja vor allem, wenn man scheitert, daran sei nichts Ehrenrühriges. „Und Sie werden wahrscheinlich scheitern.“ Wieso? Normalerweise gibt man in Workshops einer Handvoll Leute zwei Tage Zeit. Hier sitzen 25 Menschen zusammen und haben vier Stunden. Und die Aufgabe, die sie lösen sollen, ist eine crossmediale Mission Impossible: Bringt Radio und Internet zusammen.

Der Workshop ist ein Teil der Passauer Medientage an der Uni Passau. Zwei Tage lang geht es am südöstlichen Rand der  Republik um das Zusammenwachsen der Medien im Netz – organisiert von Studentinnen und Studenten der Medien- und Kommunikationswissenschaft. Die sind vermutlich über meine Zusammenarbeit mit Axel Buchholz und Walter von La Roche bei der Neuauflage ihres Buchs „Radio-Journalismus“ gestolpert und haben mich netterweise eingeladen.

„Radio crossmedial – Requiem für ein sterbendes Medium?“, diesen schönen Titel haben sich die Veranstalter für den Workshop ausgedacht, immerhin mit Fragezeichen. Ich glaube, dass man dieses Fragezeichen bald streichen muss: ich denke, dass das Radio seine Zukunft hinter sich hat. Zu gegenläufig ist die Medienlogik eines analogen, von den Begrenzungen der Sendezeit und Senderzahl geprägten Mediums und dieser alles integrierenden Kommunikationsumgebung namens Internet. (Siehe mein Crossmedia-Wiki.) Eine Kommunikationsumgebung, die hervorragend jede noch so ausgefallene Geschmacks-Nische erreichen kann, statt notgedrungen im Mainstream zu fischen. Und die zu allem Überfluss den Dialog zum Prinzip erhoben hat, die Kommunikation in beide Richtung, was für die armen Sendungsbewussten allein Herausforderung genug wäre: Statt ihre Shows über die Antenne zu feuern und zu vergessen wie früher müssen sie jetzt ständig ansprechbar sein für ihre Hörer; einen Austausch auf Augenhöhe mit dem Radiovolk sind die wenigsten gewöhnt. Wie man das zueinander bringt? Ich habe noch keine kluge Antwort gefunden, allen Crossmedia-Erfolgen beispielsweise bei der BBC und der Deutschen Welle zum Trotz.

Das "Scribble", der Entwurf für die Webseite, und das Logo, das ein Student während des Workshops designt hat.
Das "Scribble", der Entwurf für die Webseite, und das Logo, das ein Student während des Workshops designt hat.

Mission impossible also für die 25 Studentinnen und Studenten in Passau. Der Computerraum ist stickig; durch die verhängten Fenster kann man den nahen Inn nur erahnen. Der Name des Gebäudes bringt den zunehmend phantasiefaulen Seminarleiter dazu, das Projekt ausgerechnet „Radio Juridicum“ zu nennen. Nachdem ich ihnen einen Überblick über die obigen Thesen verpasst habe, bleiben nicht einmal mehr drei Stunden. In dieser äußerst knappen Zeit, sollen sie sich in drei Teams organisieren, Prozesse und Rollen in diesen Gruppen vereinbaren und einhalten, Ziele setzen, zusammenarbeiten, Konzepte erstellen, Konzepte präsentieren – und senden.

Ich weiß nicht wie, aber sie haben’s geschafft. Natürlich mit Hängern, Pannen, kleineren technischen Patzern, unpraktikablen Ideen. Am Ende stand tatsächlich eine zehnminütige Sendung mit Umfrage und Interview, erste Inhalte waren im Netz – crossmedial und in teamübergreifender Zusammenarbeit – und das größte Team, die „Planer“-Gruppe, hatte ein multimediales Senderkonzept für meine hypothetische Welle gebastelt, mit vielen Ideen, einem Werbekonzept, einer Grobstruktur für die Redaktion und einem Scribble der geplanten Website und einem Corporate Design mit Logo. (!)

Das Webseiten-Scribble, der Lesbarkeit wegen heftig gegimpt
Das Webseiten-Scribble, der Lesbarkeit wegen heftig gegimpt

Das Konzept enthielt unter anderem:

  • Eine Zielgruppendefinition – was interessiert die Leute an der Uni? – und ein PR-Konzept mit Aktionen, Partnerschaften etwa mit Cafés, in denen das Programm laufen sollte, Gewinnspielen.
  • Eine Social-Media-Komponente – von den Uni-Charts über Beiträge von Hörern und lokalen Bands über ein Forum – für Positives! – bis hin zum Social-Media-Werbekonzept: „Da gehen wir in die Netzplattformen und werden da wild aktiv.“
  • Ein Organisationskonzept: Neben Musik-Team, Redaktions-Team und Technik-Team ein eigenes Nutzer-Team, das sich um den beschriebenen Austausch mit der Community bemühen soll.
  • Ein Themenkonzept: Alles von der Uni und über die Uni, Musik von lokalen Bands – rekrutiert über mySpace, studiVZ und Youtube, Service der besonderen Art (dazu später mehr), Buch- und Kinotipps. Finito.

Neben all dem hatte die Gruppe noch Zeit, Details zu diskutieren – „den Audiostream rechts oder links?“ – und ging auch mit der schwindenden Zeit sehr gelassen um. „Fünf Minuten, hat er gesagt? Dann können wir die Präsentation ja noch digitalisieren.“

Lehren für den Workshop-Leiter

Wer lernt hier eigentlich von wem? Einige wichtige Erkenntnisse habe ich aus Passau mitgenommen.

  • „Digital natives“ sind sie alle, aber sie sehen sich bei weitem nicht alle als „digital residents“. (Diesen nützlichen, weil altersunabhängigen Begriff habe ich aus einem Vortrag des Netzwerk-Wissenschaftlers Peter Kruse, den ich heißest empfehlen kann.)  sehen sich bei weitem nicht alle. Eine einzige Gelegenheits-Bloggerin war unter den 25 – die ich dann gleich zur Multimedia-Redaktion verdonnert habe; so schnell wird man Onliner. „Aber ich hab‘ doch gar nichts am Hut mit Computern“ entgegnete sie mir. Die Studierenden halten weiter mehrheitlich die Tageszeitung für eins der wichtigsten Medien – auch wenn viele zugeben, dass sie keine lesen. Sie spüren den medialen Sog des Internets am eigenen Leib, wollen sich ihm aber nicht ausliefern, so mein Eindruck.
  • Die Selbstverständlichkeit, mit der diese Generation die digitalen Produktionsmittel einsetzt – wie es vor zehn Jahren nur ein gut eingespieltes Team von Profis gekonnt hätte. Audioschnitt, Textverarbeitung, Verlinkung und Vernetzung, Bilder schießen und nachbearbeiten, das alles in ein Redaktionssystem stellen. Bittere Erkenntnis: Unser Monopol ist weg; der Satz von Chris Anderson, dass der begeisterte mediale Amateur den desinteressierten Profi schlägt, bekommt noch mehr Gewicht. Und eine ganz unverhohlene Freude, eines Tages mit derartig guten Leuten zusammenarbeiten zu können – was kann dabei für ein Journalismus herauskommen!Einmal ein Blog geschrieben, schon ist man Online-Redakteurin: Sie war der "Multimedia Manager" des Teams Text.
  • Crossmedia ist keine Frage, sondern Fakt für sie. Natürlich hatten die Radioreporter zum Interview die Kamera dabei. Natürlich hat die „Textredaktion“ mit der „Radioredaktion“ gemeinsam Themen und Umsetzung geplant.
  • Ich habe ein Benchmark gesehen, wie viel in wenigen Stunden an sinnvoller Konzeption möglich ist – und wie effizient, zielstrebig, gelassen, geduldig, professionell 25 Menschen zusammenarbeiten können.
  • Vielleicht bezahlen sie das damit, nicht besonders kritisch zu sein gegenüber dem, was ich ihnen vorgesetzt habe – ich hätte mehr Widerstand, Skepsis, Diskussion erwartet.
  • Leistungsfähiges Community-Management gehört zur Redaktion; die Social-Media-Komponente ist eine Selbstverständlichkeit. „Digital visitors“? Von wegen.
  • Eine Beobachtung, die ich schon an anderer Stelle machen konnte: Die Nutzer von morgen gehen völlig selbstverständlich aus, dass ein Medienanbieter nicht nur Inhalte produziert, sondern auch eine Plattform ist. Eine Job- und Wohnungsbörse, ein Veranstaltungskalender, der Austausch in der Community (=der Studentenschaft) – alles Ideen für Plattformen.
  • Die schräge Extra-Idee kommt dann doch immer noch dazu – der spezifische Service. Einen Webservice, der Unigehern Informationen über die aktuelle Parkplatzlage verschafft – da muss man erst einmal drauf kommen.
  • Um nicht zu überschwänglich zu werden: für den Praxistext fehlte die Zeit, und viele der Ideen und Konzepte wären im Säurebad der Wirklichkeit schnell wieder zerfallen; wären gescheitert an Geldmangel, den existierenden Werkzeugen, Trägheit, Detailproblemen. Ich denke, die Plattformen wären vermutlich nicht lebensfähig. In aller Unschuld redaktionelle Inhalte an Werbekunden verticken – eine journalistische Todsünde. Bei Myspace und Co. nach Newcomer-Bands fischen und sie in Sendungen ziehen; in den Communities aktiv und unterwegs sein – gibt’s natürlich alles schon bei professionellen Radios.

    Aber es ist den 25 gelungen, in nicht einmal drei Stunden Inhalte und Konzepte zu produzieren, die auf der Höhe der Zeit sind. Und als Angestellter eines traditionsreichen Senders weiß ich nur zu gut, dass das schon einmal deutlich länger dauern kann.

    (Endnote: Für den Workshop gab’s kein Geld. Nur Reisespesen und das hier als Belohnung. Und das hier war alles Fake – typiscb Fernsehen halt… ;)

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