"A journalist who is also a bad programmer, stylized in the style of Gary Larson"

Die Zukunft ohne Zukunft

Der sendungsbewusste Sterbekandidat, Teil 3: letzter Teil eines dreiteiligen Essays mit Überlegungen zur Gegenwart und Zukunft des Radios.

Was bisher geschah: Teil 1 [hier zu finden] hat sich den Unterschieden in der Medienökonomie und Binnenlogik zwischen dem analogen Radio und dem Metamedium Internet gewidmet. In Teil 2 [hier] bin ich zwei Kräften nachgegangen, die den düsteren Ausblick ein wenig aufhellen: dem Beharrungsvermögen einmal etablierter Medien und der menschlichen Faulheit, die sie dann doch wieder zu vorsortierten Programmpaketen greifen lässt – aber sind das die, die wir ihnen derzeit anbieten? In Teil 3 nun der Versuch, in die Kristallkugel zu blicken: in welche Richtung bewegt sich das Radio, und hilft das?

Da bleibt zunächst festzuhalten, dass über die letzten fünf Jahre in Nordamerika die Radiosender prozentual stärker gelitten haben als die kriselnden Zeitungen. Da sie nicht von Kleinanzeigen abhängen, trifft sie das nicht so hart wie den US-Zeitungsmarkt. Aber der Aderlass ist unübersehbar.

Zeit zum Sterben – viel Zeit

Beruhigend für Radiomacher: es geht dann doch nicht so schnell mit alledem. Radionutzung ist stark ritualisiert und situativ – sprich: morgens in der Küche und im Bad, bei der Hausarbeit, auf dem Weg zum Büro, dort hat das Radio seine Reservate. Für Situationen, in denen man die Hände nicht frei hat, ist das UKW-Radio derzeit noch fast konkurrenzlos; auch wenn Webradios allmählich auch Küche und Bad erobern. UMTS-Internetradios fürs Auto sind seit 2009 auf dem Markt; durchsetzen konnten sie sich bislang nicht, auch wegen der vielen Aussetzer, mit denen mobiles Webradio zu kämpfen hat. Und die im Festnetzzeitalter aufgewachsene Stammkundschaft läuft den Sendern auch nicht weg.

Damit kann man schon noch ein paar Jährchen überleben. Aber dann? Kann ein Musiksender wirklich mit individualisierten Social-Network-Empfehlungsdiensten wie last.fm und Spotify konkurrieren? Glauben Inforadios wirklich, dass ihre Hörer auf ewig lieber 20 Minuten bis zu den nächsten Nachrichten warten, anstatt mal eben schnell übers Internet-Handy die Schlagzeilen durchzugehen?

Wenn Radiosender online gehen

Da liegt es nahe, auf komplementäre Angebote im Web zu setzen, die die Schwächen des analogen Mediums zu kompensieren versuchen. Es ist ja auch nicht so, dass Radiomacher Webmuffel wären – oder um den leidgeprüften Onliner eines großen, um Crossmedialität ringenden Medienhauses zu zitieren: mit den Radioleuten kann man, anders als mit Fernsehmachern, wenigstens reden.

Das Problem, das die Webauftritte vieler Radiosender plagt, sind ihre Wurzeln in der Programmbegleitung. „Das muss online“, war der Ruf der Redaktionsleiter seit den Anfangstagen des Webs; herausgekommen sind Angebote, die vor allem dazu da sind, dem analogen Produkt Hörer zuzutreiben – im Webzeitalter ein Anachronismus: warum sollte ich, wenn ich auf einen bestimmten Inhalt neugierig bin, gezwungen werden, das Medium zu wechseln und meinen Tagesablauf an den Sendeplan anzupassen – anstatt den Inhalt einfach online abrufen zu können? Für einen Bewohner des Digitalzeitalters reichlich absurd – er wechselt den Anbieter.

Modernen Radiosites wie beispielsweise dem Auftritt des National Public Radio in den USA ist diese Erkenntnis anzumerken: eine Programmvorschau muss man suchen, statt dessen ist fast alles nachzuhören und -zulesen – um Interaktivität und Individualisierung zu ermöglichen. Statt das Angebot als Gesamt-Paket zu denken, das nicht aufgeschnürt werden darf, bietet der Sender sein Inhalte-Archiv über eine API an, eine Schnittstelle, die Dritten erlaubt, die Inhalte über ihre Server anzubieten und es so anschlussfähig zu machen. Ein Kommentarsystem erleichtert es Nutzern, miteinander und mit den Machern in Dialog zu treten.

Das NPR hat sich dabei Grenzen gezogen und hat sich beispielsweise bewusst gegen den breiten Einsatz von Video entschieden; auch die Nachrichtenseite strebt Akzente an, nicht Vollversorgung. Fairerweise muss man sagen: als Einschaltprogramm hat es der nichtkommerzielle Sender NPR wesentlich leichter als ein Flächenprogramm. Wenn das versucht, sich als interaktives Netzradio neu zu erfinden, kommt etwas heraus wie die Seite des katalanischen Radiosenders icat.fm. Und wenn man es sich leisten kann, liegt es nahe, einen Schritt zu gehen in Richtung zum vollwertigen Multimedia-Anbieter, dem man kaum noch anmerkt, dass seine Wurzeln in der elektronischen Bearbeitung und Versendung von Tönen lagen und nicht im Spiel mit Buchstaben auf Papier.

Ein ohne das Ursprungsmedium überlebensfähiges Angebot im Netz schaffen; mit den Großen spielen wollen: Diese Strategie ist nicht ohne Risiko. Den reinen Online-Anbietern Konkurrenz zu wollen, ist gefährlich; sie werden nämlich nicht von der Notwendigkeit gebremst, nebenher noch lineares Audio zu produzieren.  Und schon zu viele Medien reiben sich damit auf, im Netz das Gleiche auszuliefern wie alles andere – eine Beobachtung, die hinter Jeff Jarvis‘ bekanntem Stoßseufzer steht: „Do what you do best and link to the rest“. Derselbe Jeff Jarvis ist übrigens der Ansicht, die Anzahl der Medien-Mitarbeiter werde sich vermutlich um die Hälfte reduzieren und dann wären es immer noch zu viele.

Going social

Was dem analogen Radio als „unique selling point“ bleibt, ist der Faktor Stimme – wie es mal in einer Imagekampagne für das Radio so schön hieß: Wer fühlen will, muss hören. Wo Gefühle im Spiel sind, entsteht Gemeinschaft, und auch das war immer eine Stärke des Radios: seine gemeinschaftsbildende Wirkung. Der Moderator oder die Moderatorin, das sind gemeinsame Freunde, um die wir uns scharen. Kaum verwunderlich, dass Radiosender im Internet-Zeitalter ihre Hörergemeinden, ihre Communities wiederentdecken und mit den neuen Kommunikationswegen und Rückkanälen verstärkt auf diese Communities zielen.

Kommunizieren auf Augenhöhe – nicht nur, dass einige Radiomacher der alten Schule sich erstaunlich gut gerüstet zeigen für modernes Community-Management, viele Sender haben entdeckt, dass sie im Sozialen Internet hervorragende Werkzeuge vorfinden. Die Radio-Expertin Inge Seibel konstatiert sogar, Radio sei dabei, sich in eine Art „Audio-Facebook“ zu verwandeln.

Überlebensstrategie: Dialogorientierung – das haben die meisten Radiomacher erkannt. Keine Frage: für viele Sender ist noch Luft nach oben – und nur allzu viele Marketing-Manager haben Jeff Jarvis‘ Mahnung überhört, man möge doch bitte nicht glauben, die Nutzer, die sich über ihre Marke austauschen, seien deshalb automatisch „ihre“ Community. Gemeinschaften neigen dazu, sich dort zu bilden, wo sie die besten Instrumente für ihre Bedürfnisse vorfinden. Und das wird immer seltener das analoge UKW-Radio sein.

Die Originalfassung des Essays erscheint im Tagungsband zu den Medientagen 2009 der Uni Passau: „Crossmedia – wer bleibt auf der Strecke?

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Kommentare

Eine Antwort zu „Die Zukunft ohne Zukunft“

  1. […] Morgen Teil 3: Die Zukunft ohne Zukunft […]

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